Erinnern und Gedenken in Oberösterreich.
Eine historische Skizze der Erinnerungskultur für die Opfer des
Nationalsozialismus, verfasst von Florian Schwanninger. In: Mitteilungen des OberösterreichischenLandesarchivs, 23. Band, Linz 2013
Aus dem Kapitel „Erinnern und Gedenken in den 2000er
Jahren. Zwischen Dezentralisierung, Normalisierung und Historisierung“ [Seite
278ff]:
[…] Das Gedenken an
die Opfer des Nationalsozialismus sollte in den 2000er Jahren nach einem
schwierigen Prozess auch langsam in den ländlichen Orten ankommen.
[…] Auf regionaler
Ebene kam es [im Gedenkjahr] 2005 zu einigen wenigen, aber durchaus innovativen
Gedenkprojekten, die u. a. Opfergruppen umfassten, die lange Zeit umstritten
waren bzw. keine Beachtung gefunden hatten.
[…] Im Bezirk Braunau führte eine eintägige Busfahrt
mit dem Titel „Verfolgung& Widerstand im Bezirk Braunau 1938 – 1945. Eine Erfahrung mit Zeitgeschichte“ an
verschiedene Orte, die in Verbindung mit Widerstand und Verfolgung während der
Jahre 1938 bis 1945 stehen. […] Dieses Gedenkprojekt steht für die in den
2000er Jahren gewonnene Breite des Zugangs zum Thema Nationalsozialismus bzw.
zu dessen Opfergruppen.
[…] Im Jahr 2006
kam mit der Verlegung von so genannten „Stolpersteinen“ eine weitere dezentrale
Form des Erinnerns an die Opfer des Nationalsozialismus in Oberösterreich
hinzu. […] Durch die Verlegung der Steine vor den Wohnhäusern soll die
Erinnerung in die Mitte der Gesellschaft gerückt werden, dorthin, wo diese
Menschen lebten. […] Seit 2010 erinnert in der Gemeinde Weng ein „Stolperstein“
an den ermordeten Sinto Klemens Rosenfels.
[…] Ein interessanter
Prozess zur Stärkung der regionalen Identität durch die Erinnerung an den
Nationalsozialismus ist in jüngster Zeit im Bezirk Braunau/Inn im Rahmen des
Projekts „Friedensbezirk Braunau am Inn“ zu beobachten. […]
[…] Das
Schicksal der über Jahrhunderte in Oberösterreich lebenden so genannten
„Zigeuner“ – hauptsächlich handelte es sich dabei um Sinti – deren „plötzliches
Verschwinden“ in den Jahren 1940/41 nach 1945 zu den großen „Geheimnissen“ in
zahlreichen oberösterreichischen Orten gehörte (und gehört), wurde mit den
beginnenden 2000er Jahren vor allem aufgrund des Engagements von Einzelpersonen
und lokalen Vereinen aufgearbeitet.
[…] Einen wichtigen
Impuls für die Beschäftigung mit der Geschichte der Sinti in Oberösterreich gab
die Veröffentlichung von Ludwig Lahers Roman „Herzfleischentartung“ im Jahr
2001..[…Die] Publikationen
und Dokumentationen über die Sinti in Oberösterreich sowie das Lager Weyer
regten auch die „Wiederentdeckung“ der Geschichte der „Zigeuner“ in einigen
Gemeinden an, wo ihre Existenz zum Teil über Jahrhunderte nachweisbar ist.
Ludwig Laher und der Verein Erinnerungsstätte Weyer spielten dabei oftmals eine
unterstützende Rolle. So kam es in Bachmanning, Buchkirchen, Hochburg-Ach,
Kollerschlag oder Weng zu verschiedenen Formen der Beschäftigung mit den über
lange Zeit in diesen Orten nachweisbaren „Zigeuner“-Familien.
In der kleinen
Gemeinde Weng im Bezirk Braunau wurde 2009 von einem lokalen Kulturverein ein
Dokumentarfilm über die Sinti-Familie Rosenfels angefertigt, in dem unter
anderem ZeitzeugInnen über ihre Erinnerungen an die Mitglieder dieser in der
NS-Zeit ausgelöschten Familie berichten. Die Präsentation des Films „Die Rosenfels –
Eine Familie aus Weng“ fand unter großer Beteiligung der Bevölkerung im
örtlichen Gasthaus statt. Gedenkveranstaltungen und –projekte gab es noch in
Hochburg-Ach, wo 2004 in Privatinitiative ein Gedenkkreuz in der Nähe des
ehemaligen „Zigeunerhäusls“ errichtet wurde, in Buchkirchen und Bachmanning.
Die Reaktionen der Bevölkerung in diesen Orten waren dabei durchwegs positiv.
ZeitzeugInnen erzählten von ihren überwiegend positiven Erlebnissen und holten
Bilder hervor – zumeist Erstkommunionsbilder, auf denen ein Sinti-Kind zu sehen
war, das sich durch die Hautfarbe etwas von den anderen Kindern abhob.
Symptomatisch für den Umgang mit den während der NS-Zeitnahe zu zur Gänze
ausgelöschten Sinti-Familien ist jedoch die Aussage vieler ZeitzeugInnen: „Auf
einmal waren sie weg!“
Die erwähnten
Projekte im lokalen ländlichen Umfeld konnten in Anspruch nehmen, dass sie
einen wichtigen Teil zur Zurückholung der Sinti in das öffentliche Bewusstsein
leisteten und nicht zuletzt auch Klarheit um das nebulöse Verschwinden dieser
„etwas anderen“ MitbürgerInnen schufen bzw. dieses in die rassistische
Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten einordneten.
Eine umfassende
Geschichte der „Zigeuner“ in Oberösterreich wurde schließlich im Jahr 2010 in
der vom Oö. Landesarchiv herausgegebenen Reihe „Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus“ publiziert. […]
Landeshauptmann Pühringer betonte bei der Präsentation den Wert der
Aufarbeitung der Vergangenheit für ein
„respektvolles Miteinander, […] gleichberechtigte Akzeptanz, [und]
gesellschaftliches Lernen“.
[…] Die
Eröffnung des „Verschütteten Raumes“ im November 2011 im Schlossmuseum Linz
knüpfte an die geschilderte Integration „vergessener“ Gruppen in die
oberösterreichische Erinnerungskultur an. Dieses Projekt versucht, zwei über
Jahrhunderte in Oberösterreich ansässige Gruppen – die jüdische Bevölkerung
sowie Sinti und Roma – wieder in die „offizielle“ Darstellung der
Landesgeschichte (zurück) zu holen.
Resümee und Ausblick: […] Ein besonders wichtiges Ziel
neben dem würdigen Gedenken an die Opfer muss es heutzutage sein […] die
Ereignisse der NS-Zeit in adäquater Form an die kommenden Generationen zu
vermitteln. Hierfür wird es kaum reichen, wenn jeder Ort von Terror und
Verfolgung mit einer Gedenktafel oder einem Mahnmal markiert wird, wenn mittels
Straßennamen und auf Denkmälern der Namen der Opfer gedacht wird. Eine adäquate
Vermittlung im Sinne der Menschenrechtserziehung, die Verknüpfung von
historischen Ereignissen mit aktuellen Fragestellungen im Bereich der
Demokratie, im Umgang mit Fremden oder zu bedenklichen Entwicklungen im
medizinisch-ethischen Bereich, ist daher von besonderer Bedeutung. […]
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